Buchmesse Leipzig 2003

 

 

Wer soll sich für das Innenleben von Beamten und Behörden interessieren ? Eigentlich niemand, meistens ist man ja froh, selbst nichts mit irgendwelchen verstaubten Ämtern zu tun zu haben.
Kürzlich bekam ich die 'Karawane des Grauens' geschenkt, und diese Lektüre hat meine Meinung doch verändert. Zum Teil sehr witzig und zum Teil gallebitter beschreibt Gogolin die Atmosphäre, das Funktionieren und eben auch Nicht-Funktionieren eines vermutlich imaginären Amtes.
Wenn es darum geht, taktisches Vorgehen eines Vorgesetzten zu umschreiben, wird auch vor drastischen Formulierungen und Bildern nicht zurückgeschreckt.
Textprobe:
'Er wusste, dass die Phantasie den Menschen schlimme Streiche spielte, dass die Leute sich am meisten dann fürchteten, wenn sie nur etwas Dunkles erahnten, was ihnen vielleicht eines Tages drohen könnte. Nach diesem Prinzip funktionierten auch die besten Gruselfilme Hollywoods, deren Erfolgsgeheimnis eben darin lag, die aus dem Knie spritzende Hirnmasse des von unmenschlichen Monstern zu Tode gepeinigten Opfers gerade nicht zu zeigen.'
Selten hat ein Buch in mir so zwiespältige Gefühle ausgelöst, auch in ausgesprochen humorvollen Passagen wollte mir das Lachen oft im Halse stecken bleiben.
Anfangs dachte ich, hier soll mit den üblichen Beamtenwitzen (die im Buch auch nicht fehlen !) auf dem öffentlichen Dienst und seinen Mitarbeitern langatmig herumgehackt werden. Viele der phantasievoll erdachten Figuren, nicht nur hochrangige, werden nicht gerade liebenswert dargestellt. Manche Handlungen wirken absurd und lächerlich, scheinen aber dennoch mehr den tatsächlichen Erlebnissen des Schreibers als seiner Fantasie zu entspringen.
Offenbar ging es dem Autor aber darum, das eigentliche Wesen von Menschen zu verdeutlichen. Seiner Meinung nach ist es nicht nur eine hierarchische Ordnung oder tatsächliche Gefahr für Leib und Leben, die Beamte oder Nicht-Beamte zu Duckmäusern werden lässt. Menschen wollen einfach in einer vorgegebenen Ordnung kuschen, der tatsächliche oder angebliche Druck von oben ist nur Vorwand, sich nicht wehren zu müssen. Beamte sind ja bekanntlich unkündbar und müssen nicht um ihren Job fürchten. Da stellt sich natürlich die Frage, weshalb es nicht mehr Aufmüpfige unter ihnen gibt.
Der Autor meint: Aus Bequemlichkeit und wegen der Trägheit der Masse, ohne das wörtlich so auszudrücken.
Das Buch hat mich sehr nachdenklich gemacht, weil es eigentlich sämtliche Fehlfunktionen solcher Gebilde wie Behörden oder ähnlich strukturierter großer Konzerne verdeutlicht.
Konsequent zu Ende gedacht würde es auch erklären, weshalb so etwas wie der Betrieb von Konzentrationslagern überhaupt klappen konnte. Es ist nicht nur die Funktion, die jemand ausübt, es ist wohl jedem innewohnendes, urmenschliches Verhalten. Das sich selbst dann nur mit großer Mühe ändert, wenn einzelne ihr Fehlverhalten bemerken und zu korrigieren bereit sind.

Die 'Karawane des Grauens' ist sehr flüssig zu lesen, wenn dem Autoren die Wortakrobatik auch nicht fern liegt. Aufhänger der Geschichte ist ein seltsamer Todesfall im Amt, ohne dass das Ganze deshalb zu einem Krimi ausartet. Aber die polizeilichen Ermittlungen geben allen Beteiligten die Möglichkeit, sich nach Kräften zu blamieren und selbst solche Dinge zu vertuschen, deren Vertuschung keinesfalls lohnt. Wenn die Beweggründe und Gedanken der handelnden Personen beschrieben werden, fühlte ich mich zuweilen durchaus ertappt, derart menschlich können auch eher unmenschlich scheinende Dinge sein.
'Nach der Lektüre wird jeder Leser mit Sinn für schrägen Humor sein eigenes Amt um die Ecke mit anderen Augen sehen. Und Beamtenwitze mit anderen Ohren hören.' , steht im Klappentext, den ich so unterschreiben würde.
Insgesamt habe ich mich beim Lesen sehr amüsiert, war teilweise auch erschrocken und denke, dass dieses Buch seinen Preis allemal wert ist.                      

                                                                            S. Wolter  29.7.2002

 

Leselupe.de empfiehlt - Die Karawane des Grauens. Das beste über "die Behörden" - ein Buch das jeder, der die Probleme mit den Ämtern kennt, gelesen haben sollte!  ...


  13.09.2002 

 

Durch den Buchtitel etwas irregeführt (aber nur so auf das Buch gestossen, da ich nach Wilhelm Hauffs Karawane suchte), klärte mich der Klappentext auf, daß es sich um ein Buch über Beamte handelt. Locker, sarkastisch, mit einem Augenzwinkern wird über den Alltag in einer Hamburger Behörde erzählt. Ulrich Zeik, aus Nürnberg zugewandert, ist der Prototyp des Bürovorstehers; verklemmt, hohle Phrasen, aufstiegssüchtig. Den Bayernkurier hält er für liberal (S. 80). Dazu gesellen sich weitere gut herausgemeiselte schräge Charaktere. Die einzige, der man Normalität bescheinigen würde, Heike Fahrenkrug, ist zu Beginn bereits tot. Die Lektüre ist kurzweilig, da Gogolin die Typen konsequent aber schrittweise entlarvt. Das Panoptikum im öffentlichen Dienst wirkt teilweise absurd, überschreitet jedoch nie die Realität. Alles könnte sich so zutragen, vielleicht auch in anderen Büros. Soweit eine amüsante Lektüre, wenn nicht der Stil hart an die Miserabilitätsgrenze ginge.
Gogolin schreibt zwar meist flott, doch oft auch ein umständliches Deutsch, gelegentlich undeutsch. Die Wortwahl ist klischeehaft: es fallen genau die Adjektive, die man erwartet. Beispiel: Blicke sind strafend (gängige Assoziation) und dann selbstverständlich stechend oder – etwas allegorischer – erdolchend. Gogolin schreibt: "... warfen ihm strafende Blicke zu, wie sie erdolchender kaum hätten sein können" (S. 32). Zu den erfüllten Lesererwartungen bezüglich der Eigenschaften der Blicke, gesellt sich am Ende eine umständliche Konstruktion mit "hätten sein können". Diese Konjunktive finden sich häufig und stören. Sehr viele Sätze beginnen mit "Und". Nun kann jeder Autor seine Sätze beginnen mit was er will, doch solche Formulierungen, gerade noch korrekt, dürfen nur spärlich eingesetzt werden. Noch mehr Sätze enden mit einem Punkt, sind aber kein Satz. "Nur sie nicht. Und sie fühlte ..." (S. 200). Im ersten "Satz" fehlt das Verb, der nächste ist ein Beispiel für (unnötigen) Beginn mit "und". Eine weitere Stilunart sind Wortwiederholungen. So betrachten Außenstehende die Arbeit "als langweilig und trocken", die Mitarbeiter (im selben Satz!) empfinden sie als "öde und trocken" (S. 37). Als ich mir den Hinweis über die leeren Kassen Hamburgs (des öffentlichen Dienstes oder ähnliches) als zu häufige Wiederholung anstrich, kam er noch dreimal. Der schlechte Schreibstil könnte bei wörtlicher Rede der Personen (oder ihren Gedankengängen) ein Stilmittel sein; in diesem Roman verstößt der Erzähler selbst laufend gegen die Regeln. 
Die Karawane des Grauens ist eine gelungene Charakter- und Lagebeschreibung des Büroalltags. Sie ist abwechslungsreich und trotz der zahlreichen ärgerlichen Stilecken flüssig zu lesen. 

Herbert Huber  22.09.2002

 

Ein ungewöhnlicher, aber origineller und gut recherchierter Roman, dessen Titel leicht in die Irre führt, im doppelten Wortsinn. Keinem Genre so richtig zuzuordnen, hinterlässt Gogolin den Leser zwar durchaus amüsiert, aber auch mit sehr beklommenen Gefühlen. Einer Berufsgruppe wird das Buch auf gar keinen Fall zusagen: Gewerkschaftlich organisierten Frauenbeauftragten, denn hier wird doch ordentlich durch den Kakao gezogen und werden liebgewordene Vorurteile süffisant bedient. Das Ganze sollte Pflichtlektüre für solche Menschen, sein, die gerne lebenslange privilegierte Beamte werden wollen - sie würden es sich vielleicht doch noch einmal anders überlegen... Lesenswert !

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